17. Oktober 2023
Unter diesem Motto fand am 13. Oktober 2023 in Tübingen eine Friedenskundgebung statt. Wir dokumentieren die Rede, die Heike Hänsel von der Gesellschaft Kultur des Friedens dort hielt:
Liebe Tübingerinnen und Tübinger,
ich bin heute zu dieser Kundgebung gekommen, um meiner Trauer und meinem Entsetzen über die vielen Menschen in Israel, mittlerweile über 1.200 zivile Opfer, die auf brutale Weise von der Hamas angegriffen und getötet wurden, Ausdruck zu verleihen. Dieser gezielte Angriff auf Zivilisten, auf Jugendliche, auf Familien, muss scharf verurteilt werden, es ist menschenverachtender Terror und ist auch nicht mit dem völkerrechtlich verbrieften Widerstandsrecht des palästinensischen Volkes vereinbar. Diese Bilder sind schwer zu ertragen, erst recht in Deutschland, dem Ort der Shoah. Und diese Gewalt erzeugt natürlich auch Existenzängste in Israel, das müssen wir ernst nehmen!
Ich bin auch hierhergekommen, um mein Entsetzen und meine Trauer auszudrücken über die in den letzten Tagen durch massive israelische Bombardierungen des Gazastreifens getöteten palästinensische Zivilisten, mittlerweile mehr als 2.200, und die verhängte Totalblockade von Wasser, Lebensmittel, Strom, Medikamenten gegen Gaza. Mehr als 2,3 Millionen Menschen, 40% davon Kinder, die ohne Möglichkeit der Flucht in Gaza gefangen sind, und jetzt vor einer israelischen Bodenoffensive stehen. Die Totalblockade der palästinensischen Bevölkerung und das Bombardieren von ziviler Infrastruktur bricht das humanitäre Völkerrecht und muss ebenso verurteilt werden. UN-Hilfsorganisationen und die WHO warnen schon jetzt vor einer humanitären Katastrophe. Angesichts dieser Situation stehen wir doch in der Verantwortung, unsere Stimme zu erheben und uns für ein Ende dieser Spirale der Gewalt einzusetzen, das Blutvergießen auf beiden Seiten muss sofort unter Vermittlung der Vereinten Nationen gestoppt werden! Denn diese Gewalt kann sich ja auch noch ausweiten auf die gesamte Region, es besteht die Gefahr eines Flächenbrands.
Ich war über viele Jahre immer wieder in Israel und in den besetzten palästinensischen Gebieten und ich habe die strukturelle Gewalt der seit 56 Jahren andauernden völkerrechtswidrigen israelischen Besatzung in Palästina gesehen, die Willkür und Repression der israelischen Armee mit jährlich vielen Toten Palästinensern, die Armut und Demütigungen, der massive Siedlungsbau und das Schwinden jeglicher Perspektive auf Frieden und einen eigenen palästinensischen Staat. Und seit Antritt der Netanyahu Regierung mit rechtsextremen Siedler-Parteien hat sich all das nochmals massiv verschärft, dass allein in diesem Jahr über 600 PalästinenserInnen in der Westbank getötet wurden. Human Rights Watch hat angeprangert, dass bereits das Jahr 2022 das tödlichste Jahr für palästinensische Kinder im Westjordanland seit 15 Jahren war und die israelische Armee nicht dafür zu Rechenschaft gezogen wurde, es herrscht Straflosigkeit. Diese Lebensrealität ist ein Nährboden für Radikalisierung und Hass, das weitgehende Schweigen der internationalen Politik, auch unserer Regierung, zur alltäglichen Gewalt der Besatzung, ist schlichtweg verantwortungslos. Die Gewalt begann eben nicht erst am 7. Oktober 2023, es ist ein gewaltvoller, Jahrzehnte währender Konflikt. Und wer zu Recht die Gewalt der Hamas verurteilt, darf zur Gewalt der israelischen Besatzung nicht schweigen! Dies dokumentieren ja auch zahlreiche UN-Resolutionen, die von Israel die sofortige und vollständige Beendigung aller Siedlungsaktivitäten und der Besetzung palästinensischer Gebiete verlangt.
Die israelische Armee will nun die Hamas, die sie als „menschliche Tiere“ bezeichnet hat, nach eigenen Angaben auslöschen, aber bringt das wirklich mehr Sicherheit für die Menschen in Israel und langfristig Frieden?
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es keine militärische Lösung in diesem Konflikt gibt, und dass Sicherheit für die israelische Bevölkerung nur dann erreicht werden kann, wenn es auch Sicherheit und ein würdiges Leben für Palästinenserinnen und Palästinenser gibt. Die Lebensinteressen aller Menschen in der Region müssen endlich respektiert und geschützt werden, es geht um einen gerechten Frieden, und dieser kann nur mit Verhandlungen erreicht werden! Die Politikwissenschaftlerin Muriel Asseburg hat es in einem Interview im „Schwäbischen Tagblatt“ Anfang dieser Woche gesagt: „Wir müssen differenziert auf die Lage schauen, auch um zu verstehen, was getan werden kann, um weiteres Blutvergießen zu verhindern und den Weg in eine friedlichere Zukunft zu unterstützen. Deshalb denke ich, ist es wichtig, den Kontext zu sehen, ein ungelöster Konflikt, die andauernde Besatzung, die Abriegelung des Gazastreifens. Und diesen Kontext einzubeziehen, relativiert nicht die Verurteilung der Kriegsverbrechen, die begangen werden.“
So denken auch viele mutige Friedens- und MenschenrechtsaktivistInnen in Israel, die Kultur des Friedens immer wieder unterstützt hat und die jetzt einen noch schwierigeren Stand haben und trotzdem die Bombardierungen Gazas kritisieren, auch sie benötigen unsere Solidarität. Wie oft haben hier in Tübingen auch gesprochen Felicia Langer, Reuven Moskovitz, Uri Avnera, die die Besatzung verurteilt haben, immer wieder vor großer Gewalt gewarnt haben. Ebenso haben wir Ismail Khatib unterstützt beim Aufbau eines Jugendzentrums in Jenin, der die Organe seines von israelischen Soldaten getöteten 6-jährigen Sohnes an israelische Kinder gespendet hat, das war eines der Zeichen der Hoffnung, die schon lange zunichte gemacht wurden.
Kolumbiens Staats- und Regierungschef Gustavo Petro appellierte an beide Seiten, »sich an einen Tisch zu setzen«, um über den Frieden zu verhandeln und die Existenz von zwei souveränen Staaten zu akzeptieren. Palästinensische Kinder könnten nur in Frieden schlafen, wenn israelische Kinder in Frieden schlafen, so wie israelische Kinder nur dann Frieden fänden, wenn palästinensische Kinder in Frieden schlafen könnten. Ein Krieg werde dies nie erreichen, sondern nur ein Friedensabkommen.
Ich fordere die Bundesregierung, die EU und die Vereinten Nationen auf, sich an ihre eigenen Resolutionen und Beschlüsse zu halten und sich für ein Ende der Besatzung und Blockadepolitik und für eine gerechte Friedenslösung im Nahen Osten einzusetzen! Ich schließe mich der Forderung nach einem Stopp aller Waffenlieferungen in die Region an. Es ist zynisch zu sehen, dass die einzige Gewinnerin wieder die Rüstungsindustrie ist; deren Aktienkurse stiegen die vergangenen Tage wieder um 10-12% an.
Es ist in unser aller Verantwortung, Israel/Palästina nun beständig auf die Tagesordnung zu setzen und nicht länger zu schweigen. Solidarität mit der israelischen und palästinensischen Zivilbevölkerung – Die Waffen nieder!