35. Todestag von Walter Vielhauer

29. April 2021

Walter Vielhauer ist im Frühjahr 1986 im Alter von 77 Jahren gestorben nach einem Leben, das geprägt war von einem ungeheuren Willen, sich nicht dem Schicksal zu fügen, sondern sich immer den Herausforderungen auch in den finstersten Stunden zu stellen. Er lebte immer die Solidarität und baute auf deren Kraft gegen Hass und Gewalt.
Geboren am 1. April 1909 in Reutlingen wuchs er ab seinem fünften Lebensjahr in der damals schon bedeutenden Industriestadt Heilbronn auf. In der Silberwarenfabrik Peter Bruckmann und Söhne lernte er das Handwerk des Silberschmieds und wurde ein anerkannter Facharbeiter. Schon in der Lehrzeit als Junggewerkschafter aktiv, trat er 1927 in den Deutschen Metallarbeiterverband ein und 1930 in die KPD. Beim Bruckmann gab es eine starke Betriebszelle der kommunistischen Partei, in der Walter früh politische Erfahrungen sammelte.
Doch schon 1933 im März war Walter unter den ersten politischen Gefangenen der neuen Hitlerregierung – bis 1945 war er 12 Jahre lang mit einer kurzen Unterbrechung in Gefängnissen und Konzentrationslagern inhaftiert.
Keine noch so harte Arbeit, keine Krankheit, keine jahrelange Einzelhaft, kein Todesurteil haben den aufrechten Menschen und seine politische Haltung brechen können. Wir können heute das, was Tausende politische Gefangene, was Millionen Häftlinge in den Todeslagern und KZs in ganz Europa durchgemacht haben, nur erahnen und nachempfinden.
Ich darf heute ein paar Zeilen aus einem Brief Walters zitieren, den er am 22.4.1940 aus dem KZ Dachau an seine Familie geschrieben hat: „Liebe Mutter und Geschwister, wieder einmal von Anne ein paar Zeilen zu erhalten, aus denen ich ersehen konnte, dass sie noch wohlauf ist, hat mich sehr gefreut. Es ist ja jetzt bald Vaters Geburtstag – die Zeit, von der man bestimmt weiß, dass es endgültig vorbei ist mit der Kälte und dem Winter und den Unbilden der Winterszeit….Natürlich hoffte auch ich, es möchte dies Frühjahr möglich sein, Euch wiederzusehen – doch scheint sich diese Hoffnung zu zerschlagen, es sollte von meiner Seite an nichts fehlen. Jetzt liegt ja der Sommer vor uns, hoffentlich dauert er ebenso lange wie der Winter, der vergangene….Sicher blüht bei Euch im Neckartal jetzt bald alles zusammen – wie schön ist es dann dort. Herzlichste Grüße für alle: Walter.“ (sein Vater Johann Jakob Vielhauer wurde am 2. Mai 1864 in Biberach/HN geboren und starb am 21. Januar 1939 in Heilbronn). Diesen Brief habe ich am vergangenen Samstag als Original bei einem Antiquariat in den USA entdeckt und ich konnte ihn erwerben, er ist auf dem Weg nach Heilbronn!
Wir können nur im Ansatz erahnen, was es für Häftlinge bedeutete, 12 Mal hinter einander das Frühjahr hinter Stacheldraht und Gitter zu erleben, ständig die Todesangst im Nacken.
Vor einer guten Woche hat Bundespräsident Steinmeier bei der Gedenkfeier in der Gedenkstätte Buchenwald daran erinnert, dass Buchenwald für Rassenwahn, Folter, Mord und Vernichtung steht. Der Bundespräsident wörtlich: „In Buchenwald waren Kommunisten und Demokraten, Homosexuelle und sogenannte Asoziale. Juden, Sinti und Roma wurden hierher verschleppt und ermordet.“
Dieses Jahr jährt sich zum 80. Mal der Überfall des faschistischen Deutschland auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Schon immer haben die Nazis deutlich gemacht, dass ihr Hauptziel der Krieg war und mit ihm die Vernichtung des Bolschewismus war und sie haben neben der Vernichtung der Juden in Europa besonders polnische und russische Menschen zu Untermenschen erklärt. Wo auch immer die Wehrmacht in diesen Ländern einfiel, gab es Massenmord und die Liquidierung der Bevölkerung. Menschen wie Walter Vielhauer haben schon vor 1933 gewarnt: „Hitler bedeutet Krieg“ und der Krieg wird vor allem mit dem Ziel geführt, den „Feind“ im Osten zu vernichten. 8000 russische Kriegsgefangene wurden in Buchenwald ermordet. Bundespräsident Steinmeier hat am 11.4. die perfiden Mordaktionen in Buchenwald beschrieben: „Wer von der Wehrmacht an die SS ausgeliefert wurde, verlor seinen Status als Kriegsgefangener, war für die Ermordung im nächstgelegenen KZ vorgesehen. Für sie war in Buchenwald ein ehemaliger Pferdestall zu einer Genickschussanlage umgebaut worden. Es ist ein Ort, der dazu erdacht war, feigen Mord tausendfach und im Akkord zu begehen, der nach demselben Muster entworfen worden war, wie die Gaskammern in den Vernichtungslagern Auschwitz und Treblinka. Man täuschte die Gefangenen, führte sie zu einer Untersuchung vorbei an mit Arztkitteln verkleideten SS-Männern und stellte sie schließlich vor eine Messlatte, die an einer Wand angebracht war. In einem Raum dahinter konnte ein SS-Mann durch einen freigelassenen Spalt seine Opfer auf der exakt angegebenen Höhe mit einem Genickschuss hinterrücks töten.“
Liebe Zuhörende, trotz einer gigantischen Rüstungsmaschinerie, trotz Folter, Mord und Vernichtung gelang es 1945, den faschistischen Terror zu beenden und in Europa die Waffen zum Schweigen zu bringen. Ich möchte an dieser Stelle und im Sinne von Walter Vielhauer daran erinnern, dass es dem Aufbäumen der Roten Armee zu verdanken ist, dass ausgehend von Stalingrad die deutsche Wehrmacht eine militärische Niederlage erlitt, die 1945 von den vier Alliierten Sowjetunion, USA, Großbritannien und Frankreich besiegelt wurde. Ihnen ist es zu verdanken, dass Tausende in KZs und Vernichtungslagern nicht auch noch ermordet und vergast wurden.
12 Jahre lang war Walter Vielhauer als Staatsfeind Gefangener des Hitlerregimes im KZ Heuberg, Zuchthaus Ludwigsburg, den KZs Welzheim, Mauthausen und Dachau. 1944 im April entdeckt die SS in Dachau die geheime Widerstandsgruppe. Der Lagerkommandant befiehlt deren Ermordung. Walter Vielhauer wird zusammen mit fünf weiteren Häftlingen nach Buchenwald transportiert, um dort die Hinrichtung ohne Aufsehen vollziehen zu können. Dort gelingt es der geheimen Widerstandsgruppe, sie im Lager zu verstecken. Im Zusammenhang mit dem Luftangriff und der Zerstörung der Gustloff-Rüstungswerke in Buchenwald erhält Walter Vielhauer die Identität eines gestorbenen französischen Häftlings. Bis April 1945 ist er aktiv in der geheimen Widerstandsgruppe und an der Rettung des jüdischen Kindes Jerzy Zweig beteiligt. Als am 11. April die amerikanischen Truppen in der Nähe des Lagers sind, gelingt es der Widerstandsgruppe im KZ, mit ihren versteckten Waffen die SS-Wachmannschaft zu überwältigen und den Tod von 21000 noch im Lager verbliebenen Häftlinge zu verhindern.
Zurück in Heilbronn wird Walter Vielhauer am 6. Juni 1945 vom durch den amerikanischen Standortkommandanten wieder eingesetzten OB Beutinger zum Assistenten für Wohnungs-, Arbeits- und Fürsorgefragen ernannt. Die amerikanische Militärregierung ernennt ihn später zum Dezernenten, anschließend zum Bürgermeister.
Ein besonderes Anliegen ist dem Antifaschisten Vielhauer aus der Arbeiterbewegung 1945 die Gründung der Gewerkschaften. Die Niederlage der Demokratie 1933 war letztendlich eine Niederlage der verschiedenen Kräfte der Arbeiterbewegung. Schon in den Jahren vor 1945 schwören sich die Gewerkschafter aller Parteien, im demokratischen Wiederaufbau Einheitsgewerkschaften zu bilden. In Heilbronn gehört Walter Vielhauer zu den Mitbegründern der ÖTV, der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes und Vorgängerorganisation von ver.di.
So wie eine starke Gewerkschaft der Arbeiter und Angestellten in den Betrieben und Verwaltungen Walter Vielhauer immer eine Herzensangelegenheit war, so engagierte er sich bis zu seinem Lebensende für eine Welt ohne Krieg und für den Frieden. In diesem Sommer, ich habe es erwähnt, jährt sich der Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion zum 80. Mal. Wir, die wir uns heute für das Vermächtnis des Antifaschisten und Friedensfreundes Walter Vielhauer einsetzen, Silke Ortwein vom DGB Heilbronn, Bernhard Mainz von der VVN-BdA Kreis Heilbronn, Florian Vollert von der Heilbronner LINKEN, Stefan Reiner vom Heilbronner Netzwerk gegen Rechts – heute an der Kamera – sowie wir beiden Stadträte der LINKEN im Heilbronner Gemeinderat, Dr. Erhard Jöst und Konrad Wanner, wir setzen uns in diesem Jahr dafür ein, Schluss zu machen mit den immer neuen Aufrüstungsrunden. Sowohl die atomare Hochrüstung als auch die sogenannte konventionelle Rüstung sind nicht zuletzt angesichts der Coronapandemie eine absolute Verschwendung menschlicher und wirtschaftlicher Potentiale. Im letzten Jahr wurden in Deutschland die Rüstungsausgaben um 4 Mrd € bzw. 8% erhöht. Während die Bundeswehr eine Milliarde um die andere zugebilligt bekommt, ist unser Land nicht in der Lage, genügend Impfstoff gegen die Pandemie zur Verfügung zu stellen. Statt Tod bringende Rüstungsgüter in alle Welt zu schicken ist es an der Zeit, den Impfstoff unter Lizenzproduktion der ganzen Welt zur Verfügung zu stellen.
Heilbronn ist gezeichnet vom Krieg, der 4. Dezember 1944, der Tod von über sechstausend Menschen und die komplette Zerstörung der Innenstadt haben bis heute sichtbare Wunden hinterlassen. Wir begrüßen es, dass Lehren und Konsequenzen aus der Vergangenheit gezogen werden. So hat die Stadt Heilbronn 2019 eine Städtepartnerschaft mit der russischen Stadt Noworossijsk geschlossen. In diesem Jahr kann diese Partnerschaft dazu beitragen, den aktuell zunehmenden Spannungen im Verhältnis zwischen Deutschland und Russland eine Friedensbotschaft auf kommunaler Ebene hinzuzufügen. Und ich baue darauf, dass es in Heilbronn gelingen wird, wie mit dem Gedenken an jüdische, demokratische und gewerkschaftliche Widerstandsmänner und – frauen auch eine sichtbare Erinnerung an Walter Vielhauer zu schaffen.
Ich möchte schließen mit einem Zitat aus dem Schwur von Buchenwald, den die befreiten Häftlinge am 19. April 1945 bei einem Gedenkappell für die Ermordeten des Konzentrationslagers Buchenwald als Gelöbnis der Überlebenden verlesen:
„Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“
Wir Heilbronner Antifaschistinnen und Antifaschisten kämpfen dafür, dem Andenken Walters einen gebührenden Platz in Heilbronn zu verschaffen.

( Rede von Konrad Wanner am Grab von Walter Vielhauer )